Warum führen Führungskräfte nicht? – Ein Austausch zweier Führungsexperten über ihre Erfahrungen aus der täglichen Coachingarbeit

Tatsächlich erledigen immer noch sehr viele der sogenannten Führungskräfte nicht den Job, für den sie bezahlt werden: Sie führen nicht operativ.

Christoph Hauke: Er war nicht zu fassen! Nach dem Meeting schüttelten alle nur den Kopf, die Frustration war jedem ins Gesicht geschrieben. Doch vorher hatte sich keiner getraut, etwas zu sagen. Was war passiert? Es ging im Meeting um die Digitalisierung. Die Ideen waren realistisch, die Führungskräfte und Mitarbeiter bereit. Die Geschäftsleitung schaute zum IT-Leiter, der sich in den letzten 20 Jahren große Verdienste erarbeitet hatte. Doch jetzt blockierte er mit der Allzweckwaffe „Datenschutz“ und der unbeherrschbaren Komplexität, die durch die Digitalisierung verursacht werden würden. Keiner mochte dem verdienten IT-Leiter im Meeting widersprechen. Das ist doch eine Aufgabe der Geschäftsleitung, oder?

Beate Krenzer: Die Geschäftsleitung ist offensichtlich nicht in der Lage, die Abwehr des IT-Leiters wahrzunehmen, sie z.B. als mögliche Zukunftsangst und Angst vor Veränderung oder Angst vor Verlust der eigenen Machtposition anzuerkennen und im gesamten Team konstruktiv nutzbar zu machen.

Mangelnde Konfliktfähigkeit der Geschäftsleitung verhindert zudem den konstruktiven Austausch mit dem IT-Leiter und somit die Geschäftsentwicklung bzw. die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Dieses Verhalten hinterlässt zusätzlich große Demotivation im Team, weil es sich weder gewertschätzt noch unterstützt fühlt. Schließlich war vor dem Meeting doch alles besprochen und alle waren bereit den nächsten Schritt zu gehen. Die Geschäftsleitung sollte ihre Verantwortung ihrer Rolle entsprechend wahrnehmen.

Christoph Hauke: Ein anderer Schauplatz: Zwei richtig erfolgreiche Geschäftsbereichsleiter lassen einen Streit eskalieren. Es geht um einen massiven Eingriff des einen Geschäftsbereichsleiters in den Bereich des anderen. Und zwar durch autoritäre Arbeitsanweisungen an Mitarbeiter und durch rücksichtslose Beschimpfungen wegen vermeintlicher Unfähigkeit. Grenzen wurden eindeutig überschritten. Der andere Geschäftsbereichsleiter droht mit Kündigung, wenn die Geschäftsleitung nicht zu seinen Gunsten eingreift. Eigentlich doch eine klare Sache für die Geschäftsleitung, oder?

Beate Krenzer: Die Aufgabe der Geschäftsleitung ist es grundsätzlich vorzuleben, wie Führungskräfte und Mitarbeiter sich verhalten sollen. Wenn im Konfliktfall zwei Parteien alleine keine einvernehmliche Lösung finden können, sollten sie den Lösungsraum dadurch erweitern, dass sie ihre gemeinsame Führungskraft mit an den Tisch holen. Diese steht in der Verantwortung, dass ihre Führungskräfte diese Spielregeln kennen und einhalten. Sie sollte sich in dem Fall zunächst von beiden Seiten ein detailliertes Bild der Situation schildern lassen. Auf der Basis sollte sie dann zunächst noch einmal versuchen, eine Lösung durch die Beteiligten selbst entwickeln zu lassen. Ist ihnen das aber in der Situation nicht möglich, gibt es die Optionen, dass die Geschäftsleitung selbst einen Lösungsvorschlag macht oder unterstützend einen externen Konfliktmoderator bzw. Coach hinzuzieht. Dabei darf sich die verantwortliche Geschäftsleitung niemals ganz aus ihrer Verantwortung ziehen.

Zur operativen Führungsarbeit gehört in solch einem Gespräch aber auch, das sei hier noch erwähnt, einen vertraulichen Rahmen zu schaffen, der es ermöglicht herauszuarbeiten, wo jeweils die persönlichen Verletzungen liegen, wo die Gründe auf der Beziehungsebene liegen, die zu dem Streit geführt haben, um durch die Klärung der unterschiedlichen Wahrnehmungen ein gemeinsames positives Miteinander zukünftig wieder zu ermöglichen.

Grundsätzlich gilt, das zeigen meine praktischen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit zahlreichen unterschiedlichen Unternehmen: Immer dann, wenn es Unstimmigkeiten bezogen auf „wer macht was?“ geht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Verantwortungsbereiche nicht eindeutig definiert wurden. Und das ist zunächst die Aufgabe der Führungskraft, in dem Fall der Geschäftsleitung, die jeweiligen Aufgabenbereiche der direkten Mitarbeiter klar abzustecken und sich vor allem auch mit den Mitarbeitern darüber auszutauschen, um ein gemeinsames Verständnis darüber zu erzielen.

Fazit: Operatives Führen kann man lernen.

Christoph Hauke: Das kann doch nicht wahr sein, werden Sie vielleicht sagen. Einzelfälle werden Sie vielleicht sagen. Sind es aber leider nicht. In vielen Unternehmen wird die Geschäftsentwicklung durch langjährig verdiente Führungskräfte blockiert, die enorme Angst davor haben, die Kontrolle zu verlieren …und vielleicht entbehrlich zu sein. Und durch Führungskräfte, die meinen, dass die vereinbarten Unternehmenswerte für sie, angesichts ihrer großen Verantwortung, nur bedingt gelten.

Allen muss klar sein, dass sie Vorbilder sind. Das hört sich banal an, wird aber oft in der Hektik und wenn Emotionen hochkommen vergessen. Die Mitarbeiter werden genau beobachten, was getan und was nicht getan wird. Und sie werden sich daran orientieren. Wenn der eigene Chef wegen vermeintlichem „Datenschutz“ blockiert, dann werden die Mitarbeiter dieses Argument auch nutzen. Wenn die eigene Führungskraft Grenzen ohne Konsequenzen überschreiten darf, dann dürfen das ihre Mitarbeiter doch auch, oder? Wenn die Geschäftsleitung alles laufen lässt, warum sollten dann Führungskräfte eingreifen?

Beate Krenzer: Die positive Nachricht: Operatives Führen ist lernbar. In beiden Fällen könnte eine zielführende Option sein, dass die Geschäftsleitung in einem Coachingprozess daran arbeitet, die Rolle tatsächlich einzunehmen, die sie qua Position hat bzw. zu hinterfragen, was sie davon abhält, die Rolle auszufüllen. Oftmals liegen die Ursachen in der eigenen Biografie. Gleichzeitig beobachten wir häufig, dass wenig Wissen vorliegt, was operatives Führen tatsächlich bedeutet.

Christoph Hauke: In allen Fällen geht es um eine wertschätzende und konsequente Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung, die Initiative, Optimismus und Mut erfordert. Und jede dafür verpasste Gelegenheit ist ein Rückschritt. Also: Beginnen Sie heute.

Autoren-Info:

Beate Krenzer ist Business-Coach & Unternehmensberaterin. Organisationsentwicklerin. Moderatorin. Sparringspartnerin. Mit branchenübergreifender Expertise berät und coacht sie große Konzerne, den Mittelstand sowie bedeutende öffentliche Institutionen bundesweit und in der DACH-Region. www.beatekrenzer.de

Christoph Hauke ist Experte für moderne Führung. Als Impulsgeber, Ratgeber und Mentor realisiert er eine passende Führungskultur und Führungspraxis in der digitalen Transformation und in einer Arbeitswelt 4.0. www.christophhauke.de