Industrie 4.0 und Digitalisierung: Notwendige Veränderungen in Führung und Organisation – Einschätzung von Holger Jetses

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Alle reden euphorisch über die vielfältigen Chancen durch Industrie 4.0 und die Digitalisierung der Arbeitswelt. Was wird die Wirkung der digitalen Revolution sein? Was muss sich bei Führung und Organisation ändern, damit die Vorteile genutzt werden können? Holger Jetses erläutert seine Einschätzungen.

Lieber Holger, du bist Wirtschafts-Ingenieur und bringst bei diesem Thema deine Erfahrungen als Vice President and General Manager Original Equipment and General Manager Johnson Controls Power Solutions EMEA ein.

Wie schätzt du die Veränderungen durch Industrie 4.0 und Digitalisierung ein?

Einerseits wird die Automatisierung zu weniger, aber zu komplexeren Aufgaben führen. So wird es zu einer neue Organisation in den Werken kommen, die sich durch die Verantwortlichkeit von High-Performance-Teams für beispielsweise Qualität, Scrap, Safety, Maintenance auszeichnet.

Andererseits ist mit der globalen Standardisierung die Kunden-Erwartung verbunden, überall auf der Welt nicht nur gleiche Maschinen und Produkte, sondern auch gleich Prozesse vorzufinden. Das wiederum führt zu einer größeren Vergleichbarkeit mit globalen Benchmarks und einer Kunden-Erwartung der kontinuierlich Qualitätssteigerung. Gleichzeitig sollten auch alle vor- und nachgelagerten Funktionen wie Entwicklung, Vertrieb oder Services von den Ansprechpartnern in qualifizierter Art und Weise geleistet werden.

Wo siehst du den größten Fortschritt durch Industrie 4.0?

Industrie 4.0 wird die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit steigern. Mit Continuous Improvement wird es zum einen einfacher, da der „Human Factor“ zu weniger Abweichungen führt und zum anderen aber auch immer schwieriger, da die Luft nach oben immer dünner wird, weil man sich zunehmend der optimalen Fertigungs-Effizienz nähert. Weitere Vorteile sind eine gesteigerte Verlässlichkeit, Kontrollierbarkeit und Verfügbarkeit in der gesamten Wertschöpfungskette (von Entwicklung über Fertigung bis Distribution) mit mehr Prozess-Pararmetern.

Die meisten Unternehmen sind ja mit ihren festen Organisationsstrukturen und hierarchischen, zentralistischen Steuerungssystemen nur eingeschränkt auf neue Technologien und Prozesse vorbereitet. Was sollte sich da ändern, damit die Vorteile voll genutzt werden können?

Der Wille und die Mittel zur Einführung neuer Prozesse und Technologien sind in den meisten Unternehmen gegeben. Die Probleme und Gefahren liegen in anderen Bereichen:

  • Wahl der richtigen Neuerungen, mehr und neuer ist nicht immer besser
  • Effektive Vorbereitung, Einführung und Umstellung in allen betroffenen Bereichen
  • Gesunde Balance zwischen globalen Standards und lokaler Flexibiltät – lokale schnelle Insel-Lösungen sind manchmal besser als späte globale Lösungen

Die größten Chancen und Herausforderungen liegen in einer effektiven Matrix-Organisation:

  • die richtige Balance zwischen globalen Best Practices und regionaler / lokaler Flexibilität und Autorität
  • Gefahr der Verlangsamung durch übertriebene komplexe Genehmigungs-Prozesse
  • Wille und Fähigkeit globaler Funktions-Leiter, nicht nur aus dem „Ivory Tower“ zu regieren, sondern vor Ort mit den Teams (wenn nötig hemdsärmelig) an den besten Lösungen zu arbeiten
  • Gefahr, dass Optimierungen und globale Standards zu sehr in den Mittelpunkt rücken und der Kunde aus dem Auge verloren wird.

Was ändert sich aus deiner Sicht durch die Digitalisierung der Arbeitswelt für die Führung?

Es ist eine zunehmende Fähigkeit erforderlich, effektiv in globalen Matrix-Strukturen zu agieren und zu reagieren: Global denken, lokal lenken! Für regionale Leiter bedeutetet das, als „Vermittler“ zwischen den globalen Funktionen und den lokalen Teams zu agieren. Und für globale Funktions-Leiter heißt das, nicht den Kontakt zur realen Welt zu verlieren und eng mit den Regionen zusammen zu arbeiten.

Es wird besonders darauf ankommen, Organisation und Teams auf Veränderungen als Normalität vorzubereiten, offen zu sein für die Einführung digitaler Prozesse in allen Business-Bereichen und nie der Gefahr zu erliegen, dass Prozesse und Standards den „Human Touch“ verdrängen.

Es ist klar: Auch Mitarbeiter globaler Funktionen werden eine lokale „Heimat“ und Community brauchen sowie die Bereitschaft, sich in bestimmten Situationen gegen die digitale oder Prozess-Norm und für den Mitarbeiter zu entscheiden. Am Ende des Tages werden alle Technologien von Menschen angewandt.

Lieber Holger, herzlichen Dank für deine spannenden Einblicke und deine wertvollen Impulse! Wir wünschen wir dir viel Erfolg und gutes Gelingen bei deinen Aktivitäten in der Welt der Industrie 4.0 und der Digitalisierung. Natürlich sind wir neugierig auf die weitere Entwicklungen zu den erörterten Themen und freuen uns auf ein weiteres Interview mit dir.

Das Interview führte Christoph Hauke.